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Wie schädlich ist Talent?

Wenn es letzte Woche im Rahmen unserer "Optimierung des Systemelements Mensch" um Selbstbeschränkung ging, dann ist die Frage von Können und Talent vermutlich die dunkelste Zone davon. An allem können wir arbeiten und etwas verändern - aber Talent haben wir oder haben wir nicht, das bekommen wir schon früh verklickert. Und deshalb suchen wir ziemlich lange an uns herum, bis wir irgendetwas gefunden haben, was nach Talent aussieht. Zu dumm, wenn wir nichts finden. Wir müssen uns dann auf irgendwelche anderen Stärken verlagern.

Schon das klingt irgendwie schräg.

Steht man auf der anderen Seite - derjenigern der Talentförderer - muss man wohl ganz gehöriges Glück haben beim Auspüren von Talent und Talenten: In seinem Buch "The Talent Code" schreibt Daniel Coyle vom Moskauer Tennisclub Spartak, der mit so vielen talentierten Kindern in Kontakt gekommen sein muss, dass dieser Club allein zwischen 2005 und 2007 mehr Top Twenty-Spielerinnen und -Spieler an den Start gebracht hat als die gesamten Vereinigten Staaten: Kafelnikov, Safin, Dementieva, Safina, Myskina und Kournikova, um nur einige zu nennen.

Man muss den Zufall schon auf seiner Seite haben, wenn so viele Wunderkinder zu Türe hereinspazieren.

Es gibt ein paar weitere und prominente Beispiele für solche scheinbaren Zufälle - Talentschmieden, die "Genies" am Laufmeter ausspucken. Die weitverbreitete Annahme dahinter: Die Guten gehen in die guten Schulen, die Schlechten bleiben draussen. Talent und Begabung suchen sich ihren Weg und werden dort veredelt, wo man damit umzugehen weiss.

Allerdings: Glamour und der Duft der grossen weiten Welt kann es nicht gewesen sein, der die ersten Aspirantinnen und Aspiranten bei Spartak angezogen hat, wenn man sich die Anlage besieht:

spartak

Und so stellt sich die legitime Frage: Sind da wirklich alle als Wunderkinder reingegangen? Wieviel Talent war vorher schon da, wieviel wurde gelernt? Woher kommt die Initialzündung für Ausnahmefähigkeiten? Woher kommt der Antrieb zu lernen? Wie werden die nötigen Quantensprünge erreicht? Wieviel ist angeboren, wieviel dazugelernt?

Oder einfach: Woher kommt Talent?

Eine erste Episode dazu:

Grag Walton, Forscher an der Universität Yale, verteilt an Erstsemesterstudenten die Geschichte eines Mathematikgenies und seines Werdegangs bis hin zum Professor. Während die eine Hälfte der Studenten den originalen Lebenslauf bekommt, ist bei der anderen Hälfte das Geburtsdatum des Genies geändert und entspricht dem des jeweiligen Studenten. Anschliessend werden die Studenten über ihre allgemeine Einstellung zu Mathematik befragt - und insbesondere dazu, wieviel Zeit sie bereit sind, zur Lösung einer besonders schwierigen mathematischen Aufgabe aufzuwenden.

Das Ergebnis: Alle Studenten, die scheinbar am gleichen Tag Geburtstag haben wie das Genie, geben eine klar positivere Einstellung zur Mathematik an als die übrigen Studenten - und würden 65 Prozent mehr Zeit in die Lösung der Aufgabe investieren. Plötzlich aufgetauchtes mathematisches Interesse? Zufällig die Richtigen erwischt? Eher nicht. Es scheint, dass das "zufällig" übereinstimmende Geburtsdatum zu einer besonderen Verbindung und damit zu einer herausragenden Leistungsbereitschaft führt. Unbewusst aufgenommene positive Information, die eine innere Bereitschaft zu mehr Leistung erzeugt?

Ein erstes Fazit wäre dann, dass die Orientierung unseres Talents viel weniger mit biologischen oder physikalischen Voraussetzungen zu tun hat als vielmehr mit guten Gelegenheiten, sich für ein Thema zu begeistern.

Denn: Die oben beschriebene Bereitschaft, uns in eine Sache zu investieren, ist der zwingend nächste Schritt auf dem Weg zu Talent. Der Schwede Anders Ericsson ist der Spur der Wunderkinder und Genies dieser Welt gefolgt - und entzaubert die Szene ein wenig: Wie gut wäre Mozart gewesen, wenn er nicht im zarten Alter von sechs Jahren bereits rund 3'500 Unterrichtsstunden bei seinem Vater hinter sich gebracht hätte? Genie lässt sich durchaus mit Zahlen erklären. Ericsson fasst seine Studien in folgender Formel zusammen: Aktives Lernen * 10'000 Stunden = Weltklasse-Fähigkeiten. Das klingt einfach. Und vor allem: Es klingt machbar für jeden. Talent-Meritokratie anstelle von Genie und Begabung - ein Stück mehr gerechte Welt und ein schönes zweites Fazit.

Bleibt schliesslich die Frage: Was ist "aktives Lernen" in Ericssons Formel?

Drei Regeln gelten bei der 77-jährigen (!) Larisa Preobrazhenskaya, der Trainerin des Tennsiclubs Spartak:

1. Slow down: Zerlegen der Bewegungen in ihre Bestandteile - quasi vom Groben ins Feine - und nachdrückliches Aufbauen der Schaltkreise in unserer Denkzentrale durch langsames, eingängiges Praktizieren jeder dieser Bewegungen.

2. Permanentes Wiederholen (irgendwie muss man ja die 10'000 Stunden füllen...), laufender Abgleich mit dem "Soll" und dabei permanente Verbesserung - ganz getreu Samuel Becketts Rezept: "Versuchs wieder. Scheiter wieder. Scheiter besser."

3. Fühlen. Der Kopf alleine reicht nicht, Bewegungsmuster müssen gespürt und gefühlt werden. Ein guter Indikator auf dem Weg zu echtem Talent: Fehler müssen innerlich schmerzen - und fairerweise: gutes Gelingen muss Freude machen. Der Weg zum Talent wird damit ein freudiger Weg, weil bei positiver Entwicklung mehr gut gehen sollte als schlecht.

Drei Regeln des aktiven Lernens als drittes Fazit - und damit stehen, wenn Coyle, Ericsson und viele andere Recht haben, uns allen alle Türen offen (naja, fast allen. Mit 50 nimmt die Verfügbarkeit der nötigen biologischen Grundstoffe leicht ab. Aber man kann ja auch sonst noch Spass haben, Kollegen...)

Der Weg zum Ausnahmetalent ist damit ausgeleuchtet - es fehlt  noch eine Warnung, verpackt in folgende Episode (ebenfalls nachzulesen bei Coyle):

Dr. Carol Dweck legt 400 New Yorker Fünftklässlern ein paar einfache Aufgaben vor. Die Kinder lösen die Aufgaben und erhalten Lob dafür: Die ein Hälfte wird für ihre Intelligenz gelobt ("du bist ein sehr kluges Kind"), die andere für ihren Fleiss ("du hast sehr viel dafür getan"). Im zweiten Durchgang dürfen die Kinder zwischen zwei Aufgaben wählen: einer einfacheren und einer schwierigeren. Ergebnis: 90% der Kinder, die für ihren Einsatz gelobt wurden, entscheiden sich für die schwere Aufgabe, die Mehrheit der für ihre Klugheit gelobten Kinder für die einfache. Letzter Durchgang: Nocheinmal bekommen die Kinder verhältnismässig einfache Aufgaben zum Lösen. Die "Fleissigen" verbessern ihr Ergebnis der ersten Runde um 30%, die "Klugen" schneiden 20% schlechter ab.

Fazit - das vierte und letzte: Talent, über das zu viel gesprochen wird, kann schädlich sein. Es bremst unser Lernsystem und suggeriert, schon irgendwo angekommen zu sein. Ein kurzer Moment der Genugtuung vielleicht, aber nicht hilfreich beim Erreichen der nötigen 10'000 Stunden...!

Oder - mit Mao Tse-Tung ausgedrückt: Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der falschen Stelle.

Also schaut beim Rumsitzen am Wochenende gelegentlich mal hinter Euch - nicht, dass Ihr etwas wertvolles kaputtsitzt...!

Beste Grüsse und trotz allem genüssliches Ausruhen!

Frank

Vom Heldenmut als Todesart
So anders sein wie man eigentlich ist?!

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Kommentare 3

Andrea (website) am Samstag, 14. April 2012 20:33

Warum, lag Deine Brille auf dem Sitzkissen? Ich kenne auch Leute, die sich auf herumliegende Gebisse setzten...
Wahrscheinlich ist wieder mal der gesunde Mittelweg beim Loben richtig. Zuviel loben läßt wie Du schön beschreibst das Engagement sinken und die Bereitschaft sich zu optimieren. Zu wenig gelobt kann im Gegenzug zur Resignation führen. Wiedermal heißt es für die sog. "Talentschmiede" fördern und fordern.
Und Talent? Die Alten sagen "Die Intelligenz erbt man von der Mutter, das Talent vom Vater". Sicher haben die Gene ihren Anteil. Und Genie? Über Reinkarnation kann man streiten. Ich selbst bin von ihr überzeugt. Wissen und Liebe sind die Dinge, die wir immer und überall mit hinnehmen, durch alle Jahrtausende, in jede Galaxie.
Und Lernen? Das ist für mich ein täglicher Prozeß auf dem Weg zum Optimum.

Grüße nach Basel
von Andrea

Warum, lag Deine Brille auf dem Sitzkissen? ;) Ich kenne auch Leute, die sich auf herumliegende Gebisse setzten... :) Wahrscheinlich ist wieder mal der gesunde Mittelweg beim Loben richtig. Zuviel loben läßt wie Du schön beschreibst das Engagement sinken und die Bereitschaft sich zu optimieren. Zu wenig gelobt kann im Gegenzug zur Resignation führen. Wiedermal heißt es für die sog. "Talentschmiede" fördern und fordern. Und Talent? Die Alten sagen "Die Intelligenz erbt man von der Mutter, das Talent vom Vater". Sicher haben die Gene ihren Anteil. Und Genie? Über Reinkarnation kann man streiten. Ich selbst bin von ihr überzeugt. Wissen und Liebe sind die Dinge, die wir immer und überall mit hinnehmen, durch alle Jahrtausende, in jede Galaxie. Und Lernen? Das ist für mich ein täglicher Prozeß auf dem Weg zum Optimum. Grüße nach Basel von Andrea
frank (website) am Samstag, 14. April 2012 23:11

ja, die sache ist ja wirklich spannend - und sehr vieles läuft auf die frage heraus, wieviel vererbt und wieviel von einflüssen kommt. solange mir niemand das gegenteil beweist, gehe ich von der vollen "gestaltbarkeit" aus. daniel coyle begründet seinen ansatz übrigens (im gegensatz zuu ericsson) mit dem vorhandensein bzw. der bildung der biomembran myelin, die sich um nervenzellen herum bildet und den lernprozess biologisch abbildet. über die details darüber dürfen sich mediziner unterhalten - die forschung in dieser richtung wohl auch noch in den anfängen.
was das loben angeht bin ich mit dir: das richtige mass entscheidet. vor allem aber (wie beim experiment von dweck) sollte das richtige gelobt werden: das bemühen, nicht die fähigkeit.
ich muss sagen: ich bin sehr gespannt, wohin dieses thema in den nächsten fünf jahren läuft!

ja, die sache ist ja wirklich spannend - und sehr vieles läuft auf die frage heraus, wieviel vererbt und wieviel von einflüssen kommt. solange mir niemand das gegenteil beweist, gehe ich von der vollen "gestaltbarkeit" aus. daniel coyle begründet seinen ansatz übrigens (im gegensatz zuu ericsson) mit dem vorhandensein bzw. der bildung der biomembran myelin, die sich um nervenzellen herum bildet und den lernprozess biologisch abbildet. über die details darüber dürfen sich mediziner unterhalten - die forschung in dieser richtung wohl auch noch in den anfängen. was das loben angeht bin ich mit dir: das richtige mass entscheidet. vor allem aber (wie beim experiment von dweck) sollte das richtige gelobt werden: das bemühen, nicht die fähigkeit. ich muss sagen: ich bin sehr gespannt, wohin dieses thema in den nächsten fünf jahren läuft!
Andrea (website) am Dienstag, 17. April 2012 21:03

Wir dürfen in der Medizin große Veränderungen erwarten! Alleine über die Veränderung der Gehirnströmungen sind wir - wie erst kürzlich die Universität Heidelberg bewiesen hat - nicht nur in der Lage eletronische Geräte zu steuern, sondern können auch die biochemischen Einflüsse im Körper beeinflussen. Und deshalb bin ich überzeugt, daß wir mit einem gewissen Willen und Fleiß auch - wie Du so schön ausführst - auch Wissen speichern können. Auch wenn ich möglicherweise provoziere, glaube ich sogar, daß es eine Art universelle Wissensbibliothek gibt. Kein Papier, keine Disketten. Reine Information, die in allen Leben abgespeichert ist. Damit hätte jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze Vollzugriff auf alles Wissen. Nur etwa 10% der Gehirnkapazität werden vom Menschen bisher genutzt.

Wir dürfen in der Medizin große Veränderungen erwarten! Alleine über die Veränderung der Gehirnströmungen sind wir - wie erst kürzlich die Universität Heidelberg bewiesen hat - nicht nur in der Lage eletronische Geräte zu steuern, sondern können auch die biochemischen Einflüsse im Körper beeinflussen. Und deshalb bin ich überzeugt, daß wir mit einem gewissen Willen und Fleiß auch - wie Du so schön ausführst - auch Wissen speichern können. Auch wenn ich möglicherweise provoziere, glaube ich sogar, daß es eine Art universelle Wissensbibliothek gibt. Kein Papier, keine Disketten. Reine Information, die in allen Leben abgespeichert ist. Damit hätte jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze Vollzugriff auf alles Wissen. Nur etwa 10% der Gehirnkapazität werden vom Menschen bisher genutzt.
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