So anders sein wie man eigentlich ist?!
Schräge Einstiegsfrage in unsere Serie zur Optimierung des Systemelements Mensch: Was würde passieren, wenn jeder das wäre, was er wirklich ist? Würde er dann tun, was er wirklich kann?
Zurückgefragt: Ist es denn nicht so? Sind wir anders, als wir sein könnten? Bleiben wir deshalb hinter unserem Potenzial zurück?
Existenzielle Fragen also zum Einstieg in unsere Serie.
Ödön von Horvàth, österreichisch-ungarischer Schriftsteller vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts, hat diese Frage schon höchst interessant kommentiert: "Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu."
Dumme Sache - und schade um das, was man eigentlich wäre, wenn man öfter dazukäme. Schade selbstverständlich - das hier ist ein Management-Blog! - für meinen Arbeitgeber. Aber schade auch für mein persönliches Umfeld, für meine Partnerin oder meinen Partner, für meine Kinder und - sofern ich mich für solche abstrakten Sachen interessiere - schade auch für mich.
Ob wir wollen oder nicht: Irgendwie sehen wir uns immer selber als irgendwas. Wir legen fest, was wir können und was nicht, worin wir gut sind und worin nicht, was wir uns zutrauen und was nicht. Wir zimmern uns ein Selbstbild zusammen, das unsere Möglichkeiten und unsere Grenzen definiert.
Und so sind wir dann. So leben wir, so wirken wir und so arbeiten wir.
Dabei gibt es nur ein Problem: Unsere Grenze haben wir uns irgendwann mal ausgedacht. Einfach erfunden. Basierend auf Erfahrungen und Erlebnissen vor sehr langer Zeit. Das sind manchmal kleine Sachen: Weil wir uns im Sport wirklich zwei- oder dreimal dämlich angestellt haben und das beissende Gelächter der Meute uns fast umgebracht hat, sind wir seitdem "unsportlich". Oder weil wir in den ersten Rechenstunden irgendwie den Zug verpasst haben und deshalb immer ordentlich hinter den andern herhinkten, hat sich irgendetwas in uns entschlossen, "mathematisch nicht begabt" zu sein. Solche Sachen eben - vielleicht sind sie auch schon viel früher passiert.
"Dafür bin ich nicht der Typ" sagen wir dann - und sollten besser sagen: "Zum Schutze meiner Persönlichkeit habe ich mich vor langer Zeit von diesem Thema zurückgezogen und verschanze mich seither hinter der schützenden Vorstellung, dass ich das nicht kann - sollte ich es trotzdem jemals tun müssen, habe ich das beste Alibi der Welt und bin vor verletzenden Angriffen weitgehend geschützt".
Petra Bock, gemäss Klappentext ihres neuen Buches eine der bedeutensten Coaches in Deutschland, nennt das einen "Mindfuck" (das Buch heisst auch so und ist trotzdem seriös). Ich will es auf vergleichbarem sprachlichen Niveau folgendermassen umschreiben: In ein scheinbar integrales Selbstbild eingebundene Selbstverarschung, die uns limitiert, wo gar keine Limitationen nötig wären. Selbstbeschränkungen, die uns Sicherheit gewähren und vor schmerzhaften Angriffen schützen sollen, die aber systematisch unsere Weiterentwicklung blockieren. Begrenzungen, die wir selber in unseren Kopf gepflanzt haben - und die dann bestimmen, wer wir sind, was wir können und was wir tun.
Hier ein paar sehr anschauliche Beispiele solcher Mindfucks:
Der Selbstverleugnungs-Mindfuck beispielsweise schreibt uns vor, dass zuerst die Bedürfnisse aller anderen erfüllt sein müssen, bevor wir an die eigenen zu gehen haben. Und das kann bei achteinhalb Milliarden Menschen auf der Welt ziemlich lang dauern. Wer kennt sie nicht, die Nice Guys und -Girls im Unternehmen, die immer da sind wenn's brennt? Und die auch dann da sind, wenn's nicht brennt. Sie sind nützlich, aber äusserst ersetzbar. Und das werden sie irgendwann auch.
Schön auch: der Katastrophen-Mindfuck. Aus einer starken Unsicherheit heraus wird laufend damit gerechnet, dass sich Alltagsituationen zu Katastrophen auswachsen - ja, dass man eigentlich bereits mitten drin ist. Typische Denkmuster: "Wenn ich diesen Job jetzt aufgebe, finde ich vielleicht nie wieder einen. Und wenn ich keinen Job mehr habe, dann ist alles aus." Auf dieser Basis werden Entscheidungen getroffen - und die können selten sinnvoll sein.
Auf den ersten Blick sehr positiv ist der Übermotivations-Mindfuck: Wir feuern uns laufend an, geben uns immer aufgestellt, euphorisch und siegesgewiss: Erfolge und grosse Ziele gehören zu unserem Programm - und damit hoffen wir auszublenden, dass die Realität manches Mal ein bisschen anders aussieht. Die üblichen Kehrseiten: eine sehr bescheidene Zielerreichung (die aber meistens von neuen, noch viel höheren Zielen überdeckt wird) und die Gefahr, eines Tages unter der Last des eigenen Anspruchs zusammenzubrechen.
Und schliesslich: der Regel-Mindfuck. Meistens aus Angst vor der Unüberschaubarkeit und Komplexität der grossen weiten Welt klammern wir uns an rigide Regeln, die uns Beurteilungen und Enscheidungen abnehmen. Das können beispielsweise Wenn-dann-Regeln der folgenden Art sein: "Wenn er mich wirklich liebt, ruft er jeden Tag mehrmals an" (wobei man weiss, wo das hinführt...). Es können Überzeugungen sein, was man zu tun und zu lassen hat - oder es kann die vernichtende Entweder-Oder-Keule sein ("Entweder Kinder oder Karriere", "entweder ein schönes Leben oder ein anspruchsvoller Beruf", "Entweder Arbeit oder Vergnügen"), bei der fest hinterlegte Regeln uns Entscheidungen und Entwicklungswege massiv einschränken - ohne dass irgeneine Realität das von uns verlangt.
Vier Beispiele für solche unschönen Selbstbegrenzungen - weitere gibt's, wie gesagt, direkt bei Petra.
Wenn die Grenzen nicht zu eng gezogen sind, ist genug Platz zur Entfaltung eines "normalen" Lebens. Wenn wir keine guten Verkäufer sind, dann sind wir eben gute Analytiker. Wenn wir keine Analytiker sind, dann sind wir halt grosse Schwätzer. Wenn wir keine Schwätzer sind, malen wir Bilder. Irgendwo innerhalb des erlaubten Raumes werden wir unsere Grenzen schon finden.
Der Nachteil: Wenn alles irgendwie erträglich ist, sehen wir's nicht als Einschränkung sondern einfach als unsere Realität. Ohne Leidensdruck hinterfragen wir's nicht. Und sind damit bei dem, was Carol Dweck im Buch "Mindset" mit dem deutschen Untertitel "Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt" als ein "statisches Selbstbild" bezeichnet. Eines, das robust gegen jegliche Veränderungen ist. Womit wir uns nicht nur selbst limitieren, sondern diese Limitierung auch für alle Zeiten festschreiben.
Ein paar spannende Erkenntnisse - rücken die nicht Einiges in ein anderes Licht?
Damit nun niemand glaubt, er hätte sich auf einen Esoterik- oder Psychoblog verirrt: Hier noch ein Wort zur Management-Relevanz:
Starke Selbstlimitationen stehen der Leistung im Weg. Weniger Limitationen in den Köpfen bedeutet mehr Leistung. Und bedeutet vor allem: neuartige Leistung. Weil man sich in Gebiete vorwagen kann, die man bisher gemieden hat. Weil man sich in Positionen vorstellen kann, die man bisher als für die anderen reserviert betrachtet hat. Weil einem plötzlich Dinge gelingen, für die man vorher "nicht der Typ" war.
Das ist für jeden Menschen und für jeden Mitarbeiter interessant - und deshalb auch für jedes Unternehmen. Ein System, dessen Elemente leistungsfähiger und gleichzeitig vielseitiger einsetzbar werden, kann Quantensprünge machen.
Was lernt man draus?
Nichts. Es kann ja nicht jeder der Quantensprung-Typ sein - und der Psychobuch-Leser schon gar nicht. Nicht so mein Ding, können andere besser. Das garantiert wenigstens ein geruhsames Wochenende. Zur Strafe wird das Wetter schlecht!
Wer trotzdem an diesem Wochenende mal dazukommt, so anders zu sein wie er eigentlich ist, dem wünsche ich dabei einen besonderen Genuss!
Mit den besten Grüssen,
Frank
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Kommentare 6
Im Grunde genommen ist alles subjektiv, weil alles auf Gefühlen basiert! Eine geliebte Realität beläßt man wie sie ist. Eine ungeliebte Realität ändert man, weil sie sich nicht mehr gut anfühlt. Und die Begleitkriterien, die objektiver aussehen, wie Geld, Ort, Aufgaben dienen ja lediglich der Orientierung zur Zielerreichung.
Unsere Gestaltungsmöglichkeiten sind so groß im Leben, daß Beschränkungen nicht sein müssen. Ich habe früher auch immer gedacht, daß ich neben meinem Job auf gar keinen Fall ein Kind haben kann. Das Nebenbei stimmt. Aber zwischenzeitlich bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß ein attraktiver Arbeitgeber einen Gestaltungsfreiraum liefert und man Beruf und Kind verbinden kann. Und ich bin ja erst 37. Erst heute habe ich von einer Frau gelesen, die mit 44 J. Mutter wurde. Dasselbe gilt für den Gedanken, daß eine Beziehung nicht funktionieren, wenn die Partner an entfernen arbeiten und dadurch auch wohnen müssen. Heute sage ich, es funktioniert, wenn der Job paßt und der Partner paßt usw.
krass ist dabei ja folgendes: sobald ein widerstand auftaucht und die "entweder-und"-lösung doch mal zu schwierigkeiten führt, drücken die alten muster mit vehemenz wieder rein: "siehst du, es konnte ja nicht gehen. wieso hast du da überhaupt daran geglaubt?".
die regeln scheinen sich selbst zu erfüllen und werden dabei immer stärker - und das eigentlich nur, weil wir mit genau dem rechnen.