Eine kürzliche Ausgabe der "Unternehmerzeitung" kündigt in einer ihrer Titelzeilen etwas an, das man auf den ersten Blick nicht gutheissen kann: "Innovation statt Bier". Hintergrund ist die anstehende Umnutzung des Areals der alten Cardinal-Brauerei in Fribourg zu einem Innovationspark. Innovation verdrängt die Hopfenblütenkaltschale - ist's schon so weit gekommen?

Einmal mehr geht's also um Innovation - das Zauberwort der Stunde. Die Rettung vor dem Druck der Wettbewerber, vor abschmelzenden Margen, vor Produktionsauslagerungen in Niedriglohnländer. Innovation - die verheissungsvolle Flucht nach vorne in Zeiten wachsenden wirtschaftlichen Drucks, die Rettung vor dem Niedergang.

Einige machen vor, wie das funktioniert: Apple Computers, die Innovationsmaschine schlechthin, hat jüngst (bereits zum zweiten Mal) den Ölkonzern Exxon als wertvollstes Unternehmen der Welt abgelöst - und überhaupt ist der halbaufgegessene Apfel schon lange das teuerste Markenzeichen der Welt. Es gibt kaum eindrücklichere Beispiele der Erfolgsrechnungsrelevanz von Produktinnovationen.

Auch dort, wo das Produkt selbst wenig Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bietet, gibt es beeindruckende Beispiele für Wachstum durch Innovation: Ohne am grundsätzlichen Prinzip der Schraube etwas zu verändern, hat Reinhold Würth den Verkaufs- und Vertriebsprozess für seine Befestigungssysteme revolutioniert - und damit in seiner rund 50-jährigen Tätigkeit den Personalbestand des Unternehmens ver30'000facht (am Anfang waren sie zu zweit). 385 Millionen Euro Gewinn aus knapp 10 Milliarden Euro Umsatz dürfte als faire Innovationsrendite für die Familienkasse gelten.

Innovation scheint sich also zu lohnen. Deshalb sind sich alle einig: Wir wollen sie, wir brauchen sie. Schliesslich hat Innovation auch etwas mit Zukunft zu tun - und da wollen wir alle hin.

Nur wie genau geht das jetzt?

Man stelle sich das plastisch vor: Die Geschäftsleitung des KMU XY AG sitzt um den Tisch und ist sich einig, dass es mehr Innovation braucht. Klar, es gibt auch noch andere Ziele wie die Steigerung des Umsatzes, das neue Vergütungssystem und der Umzug der Produktion ins neue Gebäude 2B (alles drei wurde schon angeordnet) - aber Innovation braucht's jetzt auch. Also werden Ideen entwickelt. Vielleicht werden dazu Innovationsmeetings abgehalten, geleitet von Innovationscoaches, unterstützt von neuen Innovationstools. Die Ideen werden beurteilt, bewertet und verdichtet; sie werden beschlossen und ausgearbeitet. Und dann werden sie vor allem eines: behütet. Denn: Innovation ist der Schlüssel zur Zukunft. Wenn man ihn endlich besitzt, darf ihn niemand rauben, niemand darf irgendetwas sehen - und schon gar nichts kopieren.

"Copyright ist etwas für Langsame" heisst es irgendwo im Internet - und lässt erahnen, wie falsch wir damit liegen, Innovation besitzen zu wollen.

Ideen kann man lagern (auch wenn sie dadurch selten besser werden), bei Innovation wird's schwer. "Innovationsfähigkeit" beschreibt besser, dass es sich hier um nichts wirklich Greifbares, sondern um etwas ausgesprochen Immaterielles handelt. "Forschendes Suchen", das aus "Neugier" und "Lust auf Erneuerung" entsteht, nennt Wikipedia das. Man spricht auch von einem "günstigen Klima für Innovationen" - und kann in der Tat feststellen, dass es in der Geschichte immer wieder solche klimatisch begünstigten Momente in verschiedenen Kulturkreisen gab, in denen es zu heftigen Innovationsschüben kam.

Innovationsfähigkeit als eine Art Kraftfeld, das auf alle Beteiligten der Organisation wirkt? Wenn ja, könnte man dessen Kraftquelle mit den Worten beschreiben, die Frank Arnold mit Blick auf Steve Jobs im Beitrag des NZZ Management-Blogs vom 15. Dezember 2011 benutzte:

"Es fällt (...) auf, dass es immer wieder Führungskräfte in Organisationen gibt, die sich dadurch auszeichnen, dass sie stets das Erreichen des besten Ergebnisses anstreben. Sie lassen einfach nicht locker. Es sind jene Personen, die auch dann noch nicht zufrieden sind, wenn das gesamte Team bereits die dritte, vierte und fünfte »perfekte« Lösung erarbeitet hat."

Innovation als Ergebnis davon, immer nur mit dem Besten zufrieden zu sein? Innovation lediglich als Folge eines Anspruchs? Klingt einfach, ist aber harte Führungsarbeit. Erstens, weil die Führenden selber diesem Anspruch gerecht werden müssen (womit sich das Feld bereits um 80% reduziert). Und zweitens, weil dieser Anspruch in jedem Detail des Unternehmens zu finden sein muss: in seinem Aufbau, in seinen Prozessen und vor allem in seinen Mitarbeitenden, ihren Zielen, Kompetenzen, Vergütungen - und ihren Köpfen. Und da kommt es nicht von selbst hin (hier scheiden weitere 19% aus).

Es bleibt ein kleiner Rest, der nach harter Arbeit überhaupt zu echter und dauerhafter Innovation fähig ist - und diese Innovationsfähigkeit zum Kennzeichen seines Unternehmens machen kann. Das ist dann echte Kernkompetenz - und alles andere als kopierbar. Und so werden offene Ansätze - Crowdsourcing, open source, open innovation und was es alles gibt - für solche Unternehmen zur echten Chance statt zur Bedrohung: Man profitiert - und schläft trotzdem ruhig.

Was kann man daraus jetzt konkret mitnehmen?

Eine Erkenntnis: dass die wertvollste Firma der Welt sich über Innovation definiert. An diesem Thema muss also etwas dran sein.

Ein Zitat: das mit dem Copyright für Langsame. Kann man einwerfen ob's passt oder nicht. Auch unpassende Zitate regen manchmal zum Nachdenken an.

Eine Überzeugung: Dass echte Innovatoren sogar die Türe zu ihrem Labor weit und für alle öffnen könnten, ohne dass sie etwas zu befürchten hätten. Innovationserfolg ist nicht kopierbar.

Schade eigentlich für unser KMU XY, das sich vorgenommen hatte, nach dem Umzug in Gebäude 2B auch mit Innovation anzufangen. Es scheint doch nicht so einfach zu werden. Sollten wir das mit dem Innovieren lieber bleiben lassen? Vielleicht doch wieder Bier statt Innovation?

bier

Mit Blick aufs Wochenende könnte man darüber reden.

Beste Grüsse,

Frank