Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Die Schweiz stimmt am 3. März über eine Initiative ab, die der etwas aus dem Ruder gelaufenen Selbstbedienung des Managements in börsenkapitalisierten Gesellschaften einen Riegel vorschieben soll. Das ganze nennt sich etwas polemisch "Initiative gegen die Abzockerei" und kommt im einen oder anderen Punkt ein bisschen hilflos daher - was das Parlamant zur Ausarbeitung eines Gegenvorschlags veranlasst hat, der nun ebenfalls zur Wahl steht. Der immer heftiger ausgetragene Streit über diese beiden Varianten täuscht über eine Tatsache völlig hinweg:

Fast alle finden, dass sich endlich etwas ändern muss. Und das sollte aufhorchen lassen.

Denn: Das Volk ist sich sonst selten einig. Meistens kämpft jeder für seinen eigenen Vorteil, sucht sich Verbündete und tarnt das ganze als eine Art heiligen Kreuzzug. Die Kreuzritter der verschiedenen Lager fuchteln dann ein bisschen mit ihren Lanzen herum, während die übrige politische Landschaft gemütlich ihrer ausgetretenen Wege geht. So geht das mit den Veränderungen normalerweise.

Aber wenn sich das Volk einig ist, wird's gefährlich.

Das würde beispielsweise der Bourbonenkönig Louis XVI bestätigen - aber der sagt seit dem 21. Januar 1793 gar nichts mehr. Auch die russischen Zaren und ihre kommunistischen Nachfolger wären sich für dieses eine Mal einig: Allzugrosser Konsenz im Volk gegen bestehende Strukturen wirkt auf das System unangenehm destabilisierend. Gefährlich wird's vor allem dann, wenn die Sache ganz legitim beginnt: Das Zusammentreten der Generalstände am Vorabend der französischen Revolution war keine spontane Protestaktion der Unterdrückten, sondern geschah - gemäss althergebrachten Regeln des französischen Staates - auf Einladung des nervös gewordenen Königs. Etwas kopflos, der König - im Nachhinein betrachtet.

Aber so ist es immer mit den Revolutionen: Unhaltbare Missstände (die meistens zu erheblichem wirtschaftlichen Druck führen) werden zunächst von einigermassen moderaten Wortführern, meist selbst Rädchen im laufenden Betrieb, mit den Mitteln der bestehenden Ordnung angeprangert. Einmal in Gang geraten, dehnt sich die Sache aus und radikalisiert sich dabei zunehmend. Und das ist gut so, wo immer die formelle Ordnung kein geeigneter Rahmen mehr für das ist, was wirklich läuft: Die Welt hat sich entwickelt, aber die Strukturen haben's nicht. Ihre künstliche Aufrechterhaltung braucht immer grösseren Aufwand und es kommt immer weniger dabei heraus. Wirtschaftlich gesprochen heisst das: Die alte Ordnung ist ineffizient geworden.

Die Ignoranz der Mächtigen hin oder her: Langfristig sind ineffiziente System tot - oder werden vorher von effizienteren gefressen.

Nehmen wir das Target der anstehenden Initiative: die Publikumsgesellschaften. Sind diese Gebilde effizient? Haben wir mit dem Modell angestellter Manager, die im Auftrag einer unüberschaubaren Zahl von Geldgebern unterwegs sind, wirklich eine überlegene Unternehmensstruktur? Welche Interessen werden gefördert, wenn man Menschen die freie Verfügungsgewalt über das Geld anderer Leute überträgt? Braucht es wirklich eine Organisation von starren, abgetrennten Bereichen und Divisionen ("Ab-Teilungen" also im wörtlichen Sinn), um Produkte für eine immer dynamischere Welt herzustellen? Sind wirklich vier, fünf oder zehn hierarchische Ebenen von hochbezahlten Funktions- und Würdenträgern nötig, um einen Impfstoff gegen Grippe herzustellen? Und die Fragen gehen noch weiter: Wie effizient ist es, grosse Büroinfrastrukturen zu unterhalten für Arbeiten, die man genausogut (und manchmal besser) von zuhause aus erledigen könnte? Wie sinnvoll ist es, gut und breit ausgebildete Leute in einen einzigen Fachbereich zu stecken und auf diesen zu beschränken? Welcher Zufall sollte es wollen, dass ein Unternehmen immer genau soviel Arbeitskraft hat, wie es genau heute braucht? Und wieso fallen aus diesem System immer mehr Verlierer heraus, die entweder keine Anstellung mehr finden oder - schlimmer noch - vom Lohn ihrer Anstellung nicht mehr leben können?

Es gibt ein paar offene Fragen - und der Druck, sie zu beantworten, steigt.

Mit Thomas Minder, Vertreter eines mittelständischen Unternehmertums, Hersteller einer mittelmässigen Zahnpasta und als Teil der politischen Mittelklasse selbst ein Rädchen im laufenden Betrieb, bringt nun ein einigermassen moderater Wortführer in wohlgeordneter Form die erste Frage auf den Tisch: die Bezüge des Managements - die Spitze des Eisbergs. Keine Garantie, dass nicht rasch weitere Fragen auf den Tisch kommen und immer konsequenter gestellt werden. Keine Garantie auch, dass sich die Sache nicht verselbständigt, radikalisiert und den ordnungspolitischen Weg verlässt. Sie würde sich dann aufs Schlachtfeld des Marktes verlagern, wo nicht mehr gefragt und abgestimmt sondern einfach gehandelt wird. Wo neue Strukturen gebaut werden und den alten die Unterstützung versagt wird - und wo stirbt, was nicht mehr lebensfähig ist. Und dann kann die Welt wieder funktionieren: Ineffiziente Systeme sind dann tot oder von anderen aufgefressen.

Deshalb ist es wohl ziemlich egal, was bei der Abstimmung am 3. März herauskommt - die Initiative ist einfach das Welcome Dinner am Vorabend der Revolution. Schliesslich braucht jede Party einen guten Anfang.