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Rotwein für Jupp Heynckes

Wie lange dauert es eigentlich, die Kompetenz eines Menschen, die Eignung für seinen Beruf, seine Aussichten auf zukünftigen Erfolg abschliessend und entscheidungsreif zu beurteilen? Ein paar persönliche Vorstellungs-oder Qualifikationsgespräche werden wohl kaum reichen. Braucht's einen Monat intensive Beobachtung? Braucht's ein Jahr? Oder sollte man solche weitreichenden Beurteilungen erst nach einigen Jahren treffen?

Alles falsch. Es braucht 90 Minuten. Plus Halbzeitpause als Katalysator der Meinungsbildung und zum Bierholen.

Kürzlich erlebt hat das Trainer J.H. aus M., dessen mediale Präsenz hier in Basel Champions-League-bedingt in den letzten Tagen höher war als üblich. Die Bild-Zeitung, sonst berühmt und geschätzt für ihre tief- und hintergründigen redaktionellen Beiträge, hatte noch einige Tage vor dem grossen Turnaround Sachen geschrieben wie diese hier: "Fehler bei Taktik und Transfers",  " Trainer H. im Sommer weg?", " H. muss endlich Antworten finden". In den Bild-Foren ging es noch einen Tick mehr zur Sache: "Nach Wulff ist jetzt H. dran!" oder - unterste Schublade - "Ich bin für Lothar Matthäus als Nachfolger". 90 Minuten später ist alles anders. Die versammelte Fanschaft träumt wieder von drei Titeln in dieser Saison - mit J.H., dem Trainergenie, als dem grossen Mann hinter dem Erfolg. Auch J.H. wird also in absehbarer Zeit nicht putzen gehen!

Ok: Fussball hat seine eigenen Regeln, könnte man einwerfen. Was hier gilt, kann man nicht verallgemeinern. Ein CEO fällt nicht in 90 Minuten. Aber er fällt durchaus nach einem schlechten Quartal, manchmal (mit guten Ausreden) nach zwei, spätestens und in jedem Fall aber nach drei. Woran liegt's?

Beurteilungen und Bewertungen sind zweifellos komplexe Prozesse und nicht ganz trivial zu beschreiben. Aber etwas spielt dabei eine entscheidende Rolle: Die Messgrössen, die wir heranziehen. Das Sammelsurium der Messgrössen, mit denen wir hantieren, bestimmt unser anschliessendes Urteil. Im Fussball sind die relevanten Kennzahlen überschaubar: Anzahl Siege erstens und Anzahl Tore zweitens. Selten wird die öffentliche Trainerdiskussion über Messgrössen wie Spielanteil, Ballbesitz, Eckballverhältnis, Passgenauigkeit, Schüsse aufs Tor und dergleichen geführt. Und wenn's wirklich heiss wird auf dem Trainerstuhl spricht auch niemand mehr über den Anteil wirklich erfolgreicher Neuverplichtungen, deren Teamfit, Spielvorbereitung oder Trainingsmethoden. Wenn's wirklich heiss wird, entscheiden die nächsten 90 Minuten: Sieg oder Niederlage, Tore oder keine Tore. Oder eben: Umsatz, Marge, Reingewinn.

Etwas bleibt dabei auf der Strecke: die relevanten Kennzahlen vornedran. Die Kennzahlen, die bei den für den Erfolg verantwortlichen Faktoren ansetzen. Auch wenn wir alle in Unternehmen arbeiten, die sich wortreich zum Menschen als oberstes Gut (Fleisch geworden in Form Mitarbeiter oder Kunde) bekennen, dessen Förderung und Entwicklung oberstes Ziel und entscheidender Faktor beim Erzielen von Erfolg ist. Beeindruckend und manchmal sogar ergreifend, was da allles zu lesen ist (siehe hierzu auch: Leitbild-Generator - sehr hilfreich!).

Der Mensch und sein Verhalten als Erfolgsfaktor - wer würde nicht ernsthaft daran glauben?! Aber sind wir ehrlich: In welchem Unternehmen geht wirklich die rote Lampe an, wenn die Ausbildungstätigkeit zurückgeht? Wie oft wird ein Krisenmeeting der Geschäftsleitung einberufen, weil die Kundenzufriedenheit gesunken ist? Welcher CEO tritt beschämt zurück, weil einer Kundin nicht rechtzeitig geliefert wurde, was ihr versprochen wurde?

Stattdessen kleben wir sklavisch am Rückspiegel. Wir führen Unternehmen, beurteilen Personal und sprechen Investitionen - anders gesagt: wir treffen die Entscheidungen für morgen - aufgrund von Kennzahen, die, gestern mühevoll vom Controlling zusammengestellt, den Zustand von Vorgestern beschreiben. Nicht wirklich gut. Es ist ein bisschen so, als hätte ein Pilot folgendes Cockpit zur Verfügung: Ein zentrales Instrument mit der Anzahl der bisher erfolgreich durchgeführten Flüge plus ein paar kleinere Displays jeweils mit dem durchschnittlichen Sitzladefaktor seiner Flüge im letzten Quartal, den in seiner Laufbahn misslungenen Landeanflügen mit anschliessend notwendigem Duchstartemanöver (inklusive der dadurch für die Airline entstandenen Kosten), dem flugstunden- und geschlechts-gewichteten Durchschnittsalter der Cabin Crew des letzten Monats und dem im letzten Jahr im Flieger nachgefragten Rotwein (in Litern). Da wünscht man guten Flug - und dieser Wunsch sollte von Herzen kommen...!

Was also tun?

Wir brauchen Kennzahlen, die heute das messen, was morgen zum Erfolg führt. Wir müssen sie verankern, sie verfolgen und danach entscheiden.

Das müssen keine hochkomplexen Gebilde sein, und sie müssen auch nicht zentral erfasst historisiert und ausgewertet werden. Sie gelten für heute, für morgen, vielleicht für eine Woche. Fünf Kennzahlen für jedes Team. Und wenn sie aus dem Ruder laufen, wird korrigiert. Beispiele? Gibt's genug: Pünktlichkeit in Meetings, termingerechte Abgabe von Unterlagen, für Weiterbildung aufgewendete Arbeitszeit, gute Taten für's Team, Anzahl gehaltener Versprechen - oder, eine Ebene abstrakter: Mouth to Deliver-Ratio (wurde hier schon mal erwähnt), Production to Garbage-Ratio, Think to Talk-Ratio (sehr gefährliche Kennzahl!).

Kennzahlen als Führungs- und Steuerungsmittel. Kennzahlen, um Ziele zu erreichen - und nicht um nachträglich zu kontrollieren, ob sie erreicht wurden. Das sollte das Prinzip sein.

Ob nun der durchschnittlich konsumierte Rotwein (in Litern) ein voraus- oder ein nacheilender Indikator ist, kann so einfach nicht beantwortet werden - und sollte bei einem Glas desselben gründlich ausdiskutiert werden. Zweifellos kann sie, am Freitag vorausschauend eingesetzt, im nachhinein den Samstag gerettet haben.

Womit auch die Alltagsrelevanz von Kennzahlen bewiesen wäre.

Mit den besten Grüssen,

Frank

Neues Kapitel: Optimierung des Elements Mensch
Fettiges Schmieröl zum Wochenende
 

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