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Kohlköpfe im Herbst

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Endlich ist es Herbst draussen. Die übriggegebliebenen Vögel machen sich endgültig davon, die letzten Blätter geben auf, alles wird erst rot und dann braun - und meistens haben wir richtig schönen Nebel. Und obwohl wir den Geruch modernder Blätter seit früher Kindheit als „Herbstgeruch“ bezeichnen: es ist Modergeruch. Alles stirbt, alles geht zu Schanden – keine freundliche Saison.

Klar wissen wir: Ohne Herbst keinen Winter, ohne Winter keinen Frühling – und damit keinen neuen Ausbruch der grossen Lebhaftigkeit. Das hilft uns aber nicht weiter – nichtmal denen, die den Herbst mit seiner leichten Melancholie mögen. In ihrem Gemüsegarten wachsen trotzdem keine Tomaten mehr. Es ändert alles nix: Im Herbst wird gestorben.

Nun sind Menschen, die sich als erfolgreiche Macher betrachten (oder solche, die noch die unbeschwerte Illusion mit sich herumtragen, erfolgreiche Macher zu werden) darauf abgerichtet, auch Negatives als Chance zu sehen, zu nutzen und zu rentabilisieren. Also auch den Herbst.

Aber wie genau macht man das? Wie baut man eine Erfolgsstrategie rund um dieses grosse Sterben?

Man könnte auf Nüsse setzen. Oder auf Kürbisse. Sicherlich nicht verkehrt – man nutzt, was die Natur gerade zu bieten hat. Das hat sogar etwas Nachhaltiges, Naturnahes: Man folgt dem Zyklus der Natur. Im Frühling setzt man voll auf Gemüse, im Sommer zählen nur noch Äpfel, Mais und Getreide, im Herbst gibt’s nur Kürbisse und im Winter - wie nett - Rosenkohl.

Die Gemüsestrategie im Frühling, die Äpfel-, Mais- und Getreidestrategie im Sommer und die Kürbis-Strategie im Herbst. Immer mit Vollgas, immer überzeugt, genau jetzt genau das Richtige zu tun. Und – selbstverständlich – immer unter der allgegenwärtigen Prämisse, dass eine schlechte Saison-Ernte ein empfindlicher Misserfolg wäre.

Ist das wirklich so ein naturnahes Prinzip? Verhalten wir uns wirklich so natürlich, wenn wir immer mit voller Kraft genau auf das setzen, was der Zyklus uns anbietet? Brauchen wir wirklich eine Vier-Saison-Strategie? Oder sollten wir nicht Zyklen als Zyklen verstehen und dabei akzeptieren, dass es davon reichhaltige und weniger reichhaltige gibt? Dass es für jede Frucht Saat-, Pflege- und Erntezyklen gibt? Und dass eine Strategie genau dann eine gute Strategie ist, wenn sie das Zyklische überspannt, am besten sogar ausnützt?

Welcher Weinbauer will denn in jeder Saison ernten?

Auf Wein setzen heisst, jede Saison gezielt zu nutzen – nicht jede Saison zu ernten. Das ganze Jahr nichts anderes machen als den Weinberg, die Reben, den Boden pflegen. Kein Gemüse, keine Äpfel. Durchhalten, wenn im Frühjahr der Blumenkohl geerntet wird und im Spätsommer alle mit dem vollen Getreidewagen heimkommen. Trotzdem keine Kohlköpfe setzen. Weinbauer bleiben. Durchhalten sogar, wenn die ersten mit vollen Traubenwagen kommen. Geduld haben, den Weinberg weiter pflegen, mit noch mehr Aufwand und noch mehr Sorgfalt – und erst ernten, wenn’s perfekt ist.

Zyklen nutzen heisst, in jeder Phase genau das zu tun, was am Schluss zu einer optimalen Ernte führt – wohlwissend, dass der grösste Teil der Zeit dann Arbeitszeit und nicht Erntezeit ist.

Zugegeben: Das braucht Überzeugung. Überzeugung, dass tatsächlich eines Tages etwas geerntet werden kann - auch wenn’s lange nicht so aussieht. Der Bauer weiss aus Erfahrung, dass immer eine Erntezeit kommt - im Alltag ist man davon oft nicht überzeugt, und das macht's nicht einfacher. Es braucht auch Geduld dazu: Selbst wenn man davon ausgehen kann, dass es irgendwann etwas zu ernten gibt – schöner wär’s heute. Und zudem braucht‘s Bescheidenheit – schliesslich hat man ja die meiste Zeit über nichts vorzuweisen. Welcher erfolgreiche Macher will sich so etwas schon leisten?

Die ultimative Strategie also für dürre Zeiten: die gleiche Strategie wie sonst auch. Das Ziel verfolgen, auch wenn die Zeiten einmal schitter werden. Weil: Wer in seiner Strategie keine dürren Zeiten vorgesehen hat, hat sowieso schlecht geplant. Vor allem, wenn die dürren Zeiten mit der Regelmässigkeit des Herbstes eintreten. Sollte eine gute Strategie nicht mindestens eine Saison überleben?

Schwierig in der Tat für Wankelmütige, Ungeduldige und Unbescheidene - und besonders schwierig für erfolgreiche Macher, die sich den Luxus einer erntefreien Saison nicht leisten wollen. Die werden uns weiterhin zu allen Zeiten mit ihren Kohlköpfen überschütten.

Aber eine erfolgreiche Strategie überlebt auch das.

Beste Grüsse aus dem Nebel,

Frank

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