Fact-Checking: Für eine bessere Qualität im Journalismus
Die immer schneller werdende Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen ist eine der positiven Erscheinung, die dank der ausgefeilten Technik des 21. Jahrhunderts gefördert wurde und wird. Doch vor allem für Journalisten bedeutet diese Entwicklung, dass aufgrund des hohen, täglichen Nachrichtenstroms immer mehr Informationen selektiert werden müssen, um auf deren Grundlage Artikel schreiben zu können. Das Thema Geschwindigkeit bestimmt auch einen anderen wesentlichen Faktor in der heutigen Nachrichtwelt, denn:
Nur das Medium, dass als erstes die jeweilige Schlagzeile oder Exklusivmeldung bringt, wird die größte Aufmerksamkeit seitens der Leserschaft bekommen. Das bedeutet für den modernen Journalisten effektiv mehr Stress, da er sich nicht wie zu Printzeiten einen gewissen Spielraum bei der Publizierung erlauben kann.Das Problem: Zu viel Input – zu wenig Zeit
Zu der sich daraus ergebenden Problematik äußerte sich Jeff Jarvis, US-amerikanischer Journalist und Professor, in dem Buch “Regret the Error” sehr treffend: “The dangerous reality is that today’s journalists are required to do more with less”. Heutige Journalisten haben oftmals keine Zeit, jeden Fakt beharrlich nach zu recherchieren. Zudem müssen Deadlines eingehalten werden und mehrere Artikel gleichzeitig abgeliefert werden. So verwundert es nicht, dass die Fehlerquote hinsichtlich falscher Informationen oder Zahlen steigt und steigen wird. Die Übernahme ganzer (Presse-)Meldungen, die von dpa und anderen Nachrichtenagenturen verschickt werden, ist zur Kompensierung des Zeitmangels ein oft genutztes Mittel. Werden an dieser Stelle bereits Fehlinformationen verwendet, kann es sich schnell zu einem Lauffeuer entwickeln und die berühmte Zeitungsente, gewollt oder ungewollt, in sämtlichen Medien veröffentlicht werden.
Bluewater Falschmeldung und zu Guttenbergs 11. Vorname
Dies wurde vor allem beim angeblichen Bluewater-Amoklauf deutlich: Am 10. September wollte Filmemacher Jan Henrik Stahlberg auf ungewöhnliche Art und Weise seinen Film “Short Cut to Hollywood” promoten. Er setzte mehrere Webseiten auf, darunter auch die des lokalen Fernsehsenders vpk-tv, der in Wirklichkeit nicht existiert. Auf der Startseite wurde eine Meldung zu einem Attentat in einem Restaurant in Bluewater platziert. Im nächsten Schritt rief ein Mitarbeiter Stahlbergs bei der dpa an und verwies dabei auf die “fingierte” Website des Lokalsenders. Um 9:38 Uhr gab die dpa bekannt: “In der kalifornischen Kleinstadt Bluewater soll es nach einem Bericht des örtlichen Senders vpk-tv zu einem Selbstmordanschlag gekommen sein. Es habe in einem Restaurant zwei Explosionen gegeben, berichtete der Sender. Die Polizei sei im Einsatz und habe das Restaurant evakuiert. Ob Menschen zu Schaden kamen, sei unklar. Das Restaurant wirkte auf ersten Bildern nicht zerstört. Die Täter wurden von dem Sender als arabisch-stämmig beschrieben.” In einer zweiten Meldung wurde ein Feuerwehrmann aus Bluewater erwähnt, mit dem die dpa telefonisch gesprochen hatte und der das Attentat bestätigte. Jedoch war auch dieser Feuerwehrmann nur ein Mitarbeiter Stahlbergs, denn die ebenfalls gefälschte Homepage der Stadt Bluewater verwies mit zwei Telefonnummern an Polizei und Feuerwehr, die jedoch nicht vor Ort sondern bei Mitarbeitern des Filmemachers landeten. Erst um 10:06 Uhr gab die dpa bekannt, dass es sich bei der Meldung um eine Falschmeldung gehandelt hat. Während der Zeitraum, in dem diese Meldung kursierte, mit rund 20 Minuten gering scheint, sorgte es in der deutschen Medienwelt jedoch für einen solchen Hype, dass unter anderem die TAZ, welt.de und morgenpost.de die Meldung übernahmen.
Während man bei diesem Beispiel noch argumentieren könnte, dass es perfekt inszeniert schien, so wurde das mangelhafte Fact-Checking auch im Falle des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg deutlich. Einen Abend bevor er im Februar 2009 als neuer Bundeswirtschaftsminister vorgestellt wurde, fügte ein unbekannter User auf Wikipedia den zusätzlichen Vornamen “Wilhelm” in den Namen von zu Guttenberg ein. Durchaus kann es bei einem langen Namen wie “Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg” vereinzelt zu Adaptionsfehlern kommen – aber der 11. Vorname schaffte es sogar auf die Titelseite der BILD-Zeitung sowie in die Online-Ausgaben von Handelsblatt.com, heute.de, rp-online.de als auch Spiegel Online.
Lösungsansätze für weniger Falschmeldungen und bessere Faktengenauigkeit
Während die beiden oben genannten Beispiele extreme Ausmaße genommen haben, gibt es weit mehr ungenaue Zahlen und Angaben in Online-Artikeln, die dem eifrigen Leser nicht weiter auffallen werden. Dennoch darf dies kein Dauerzustand sein, vor allem wenn es um den oftmals zitierten Qualitätsjournalismus geht. Wie also sehen die Lösungsansätze aus, um die heutige Technik effektiv gegen den Fehlerteufel einzusetzen?
Vor allem im englischsprachigen Raum gibt es bereits ein paar interessante Plattformen und Projekte, die beim Fact-Checking helfen bzw. als überprüfende Instanz dienlich sein sollen. Seiten wie Churnalism.com gleichen wiederum (englischsprachige) journalistische Texte mit Pressemitteilungen ab, um ‚copy & paste’ Täter zu überführen. Weitere Dienste nennen sich Report an Error Alliance, MediaBugs, NewsTrust oder Truthsquad. Report an Error Alliance ist, wie der Name bereits vermuten lässt, ein Zusammenschluss an Personen und Organisationen, die sich für die genaue Informationsangabe einsetzt. Ein interessanter Ansatzpunkt ist dabei der “Report an Error”-Button. Am Ende jedes Artikels neben den üblichen Teilen- oder Gefällt-Mir-Buttons platziert, können inhaltliche Fehler oder Ungenauigkeiten direkt an den entsprechenden Autor gesendet werden. Das Uni-Orientierungsmagazin “jetzt Uni&Job” der Süddeutschen Zeitung hat unter Jetzt.Sueddeutsche.de einen solchen Button bereits eingebaut.
Während bei diesem Modell die “Fehler-Behebung” in der Hand der jeweiligen Redaktion oder des Autors liegt, gehen Projekte wie MediaBugs ein Stück weiter vor. Auf der Seite können Fehler wie falsche Betitelungen oder Angaben in Artikeln, sogenannte Bugs, samt Richtigstellung und Quelle gepostet werden. Unterhalb des Bugs zeigt eine Historie an, ob der betreffende Autor bereits kontaktiert wurde und wie der jeweilige Stand ist. Beispielsweise wurde im Rahmen der Golden Globes im Januar 2012 in der New York Times fälschlicherweise die “Hollywood Foreign Press Agency” erwähnt, die in Wahrheit aber “Hollywood Foreign Press Association” heißt. Der Autor wurde daraufhin angeschrieben und der Fehler behoben. In Deutschland hat sich bis jetzt noch kein ähnlicher Service behaupten oder durchsetzen können. Dafür greift aber das von Stefan Niggemeier gegründete „Bildblog “ falsche Angaben und Ungenauigkeiten aller Medien auf und weißt in einzelnen Artikeln auf die Fehler hin.
Ganz egal ob hierzulande oder international: die Journalisten des 21. Jahrhunderts tun gut daran, die Crowd an sich Teil ihres Arbeitsprozesses werden zu lassen. Zum einen kann so die Fehlerquote gesenkt werden, zum anderen kann man als Journalist auch vom Wissen der Vielen profitieren und dadurch effektiv Zeit sparen. Konstante Faktengenauigkeit trotz schnelllebigen Informationszeitalters führt zu mehr Vertrauen in das jeweilige Medium – und letztendlich zurück zum guten alten Qualitätsjournalismus.
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